Blog von Schwester Christiana
Ich habe die schlechte Angewohnheit, bei Büchern zuerst die letzte Seite zu lesen. Gestern abend stieß ich bei Alexej Nawalny, Patriot. Meine Geschichte (S. 539f) auf die folgenden Worte, die mich tief beeindrucken: „Du liegst in deinem Stockbett, schaust auf das Bett über dir und fragst dich, ob du im tiefsten Herzen Christ bist. Es ist nicht entscheidend, ob du glaubst, dass ein paar alte Männer in der Wüste einst achthundert Jahre alt wurden oder dass sich tatsächlich das Rote Meer vor jemandem teilte. Aber bist du ein Anhänger der Religion, dessen Gründer sich für andere opferte und den Preis für ihre Sünden zahlte? Glaubst du ehrlich an die Unsterblichkeit der Seele und das ganze andere coole Zeug? Wenn du aufrichtig mit „Ja“ antworten kannst, worüber musst du dir dann noch Sorgen machen? Warum solltest du hundertmal etwas leise vor dich hin murmeln, das du in einem dicken Buch auf deinem Nachttisch gelesen hast? Sorgt Euch nicht um morgen, denn der morgige Tag wird für sich selber sorgen. Meine Aufgabe ist es, das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit zu suchen und es dem guten alten Jesus und seiner Familie zu überlassen, sich um alles andere zu kümmern. Sie werden mich nicht im Stich lassen und alle Probleme lösen, die mir Kopfschmerzen bereiten. Wie es hier im Gefängnis heißt: Sie werden für mich die Schläge einstecken.“
In der Vorbereitung auf die Veranstaltung am Samstag, auf die ich vor einer Woche schon hinwies und auf die ich mich freue, aber leider auch im Wissen um viel Streit in der Institution Kirche, helfen mir Sätze aus den Hymnen von Gertrud von le Fort, in denen es um das geht, was Kirche eigentlich ist. Sie spricht die Kirche an und sagt:
„Die Irrenden gehen nicht unter, weil du noch den Weg weisst, und die Sünder werden verschont, weil du noch betest.“
„Denn um deinetwillen lassen die Himmel den Erdball nicht fallen: alle, die dich lästern, leben nur von dir!“
„Die Barmherzigkeit der Welt ist deine entlaufene Tochter, und alles Recht der Menschen hat von dir empfangen.“
„Du bist wie ein Fels, der gegen die Ewigkeit abstürzt, aber das Geschlecht meiner Tage ist wie Sand, der ins Nichts fällt!“
„Du bist das einzige Zeichen des Ew'gen über dieser Erde: alles, was du nicht verwandelst, überwandelt der Tod!“
Gestern fand bei uns eine Veranstaltung statt, bei der Texte von Madeleine Delbrel besprochen wurden. Ich habe die Texte zwar selbst zusammengestellt, doch im Gespräch mit den Teilnehmern leuchteten mir manche Aussagen ganz neu auf. Zunächst einmal die Zeitanalyse, die leider auch für unsere Zeit gilt: „Wir verkünden keine gute Nachricht, weil das Evangelium keine Neuigkeit mehr für uns ist, wir sind daran gewöhnt, es ist für uns eine alte Neuigkeit geworden.“ - „Wenn wir von Gott reden, bereden wir eine Idee, statt eine erhaltene, weiterverschenkte Liebe zu bezeugen.“ - „Wir verteidigen Gott wie unser Eigentum, wir verkünden ihn nicht wie das Leben alles Lebens. Wir sind keine Erklärer der ewigen Neuheit Gottes, sondern Polemiker, die eine Lebensanschauung verteidigen, welche überdauern soll.“
Das entspricht genau dem, was man heute „ekklesialen Atheismus“ nennt: Menschen arbeiten in der Kirche, entwickeln Pastoralpläne oder geben Religionsunterricht, ohne dass Gott eine Rolle spielt, weder für das, was sie tun noch für ihr eigenes Leben.
Dazu sagt Madeleine Delbrel: „Der lebendige Gott ist kein ungeheures, umwerfendes Glück mehr.“ - „Verloren muss man sich wissen, dann will man gerettet werden. Wer das schmale Evangelienbuch nicht mit der Entschlossenheit eines Menschen ergreift, dem eine einzige Hoffnung verbleibt, wird es weder entziffern noch dessen Botschaft empfangen.“ - „Und die Nachricht betrifft eine Sache, die gerade jetzt vor sich geht, ein Ereignis, das unterwegs ist. Sie ist kein Unterricht über alte Geschichten, sondern eine Information über unsere Zeit, eine neueste Nachricht.“ (Die zitierten Texte stammen alle aus M.Delbrel, Wir Nachbarn der Kommunisten. Diagnosen (1975).
Vielleicht interessiert den einen oder anderen ein neues Buch, an dem ich mitgewirkt habe und das mir sehr wichtig ist: „Urworte des Evangeliums“. Nähere Informatione hier.
Zu diesem Buch wird es am Samstag, den 1. Februar 2025 um 14:00 Uhr eine Veranstaltung in der Aula der Kölner Hochschule für katholische Theologie, Köln, Gleueler Straße 262-268 geben, zu alle Interessierten eingeladen sind. Folgendes Programm ist vorgesehen:
Vortrag von Abt Dr. Maximilian Heim OCist (Stift Heiligenkreuz)
„Erneuerung der Kirche – eine Jahrhundertaufgabe“
Vorstellung des Buchs „Urworte des Evangeliums“
Gelegenheit zu Begegnung mit den Herausgebern und Autoren
Email:
Telefon: +49 2131 6635055
Zur Zeit wird uns, was Jesu meint, wenn er sagt: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie missbrauchen“ (Mk 10,42), in vielen Ländern brutal vor Augen geführt. Überall sehen wir Regierende, die andere unterdrücken und sich an die erste Stelle setzen. Als Christen dürfen wir nicht von Gegengewalt träumen, sondern müssen voll Vertrauen glauben, dass Segen darin liegt, dem nachzufolgen, der nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. Lernen wir also zu dienen, was gar nicht leicht ist. Der erste Schritt dazu ist, nicht zu verurteilen, sondern für die, die lügen, unterdrücken und die Güter der Welt an sich reißen, besonders zu beten.
Ich gehöre nicht zu denen, die den Klimawandel leugnen, und bin auch der Meinung, dass er weitgehend Folge menschlichen Fehlverhaltens ist. Allerdings glaube ich nicht und hier unterscheide ich mich von denen, für die Umweltfragen geradezu Religionsersatz sind, dass wir Menschen das Weltklima und die Umweltzerstörung in den Griff bekommen werden, weder durch technische Lösungen noch durch Konsumverzicht. Konsumverzicht ist richtig, ja dringend geboten, aber genauso wenig wie wir die Sünde nach dem Sündenfall aus der Welt schaffen konnten, können wir die Folgen unseres falschen Verhaltens der Schöpfung gegenüber rückgängig machen. Erkennen wir endlich unsere Grenzen!