Blog von Äbtissin Christiana Reemts

Auf meinen letzten Blogartikel erhielt ich von einer befreundeten Künstlerin, Marianne Reiners-Maaz, Gedanken zur Dreifaltigkeit, die ich so großartig fand, dass ich sie hier wiedergeben möchte:
"Im Johannes-Prolog und darüber hinaus an vielen Stellen des Alten und Neuen Testaments ist im Zusammenhang mit Gott die Rede vom Licht (u.a. Psalm 104,2: "Du hüllst Dich in Licht wie in einen Mantel").So sehe ich in dem von uns erfahrbaren Licht und in seiner physikalisch erklärbaren Natur eine mir einleuchtende Analogie auch zur Dreifaltigkeit Gottes.Denn das eine Licht, das unmittelbar nicht fassbar ist, aber von den unzähligen Oberflächenstrukturen unserer Erde in unterschiedlicher Farbigkeit reflektiert wird, besteht in sich selbst aus den drei Grundfarben Gelb, Rot und Blau. Keine dieser drei Farben ist mit einer anderen verwechselbar. Zusammen aber bilden sie die Einheit des einen unteilbaren Lichts.
Diese als "rein" bezeichneten Grundfarben sind nicht durch Mischungen aus anderen Farben herzustellen. Sie sind einfach und ursprünglich da. Aus ihnen aber gehen durch stufenweise Mischung alle Farben hervor, die es überhaupt geben kann. Aus Rot und Gelb wird Orange, Gelb und Blau vermischen sich zu Grün, Blau und Rot ergeben Violett. Bei weiterer Auffächerung kommt man zu Gelborange und Rotorange, zu Gelbgrün usw. usw. Verbinden sich die drei Grundfarben allerdings komplett miteinander, ergeben sie in ihrer Summe, je nach additiver oder subtraktiver Mischung, Weiß oder Schwarz.
Nun gibt es noch eine Besonderheit bei den drei Grundfarben: Jede Farbe hat ihre Komplementärfarbe, die ihr im erweiterten Farbkreis genau gegenübersteht. Jedoch ergänzt sich diese anscheinende Zweierbeziehung immer "automatisch" zur ursprünglichen Dreiheit . Dem Rot zum Beispiel steht das Grün gegenüber. Da das Grün aus Gelb und Blau besteht, ist so der volle Kreis der drei Grundfarben auch in den zwei Komplementärfarben gegeben. Sogar unser Auge ist physiologisch auf diese Vollkommenheit der Dreifarbigkeit eingestellt. Blickt man z.B. ein paar Minuten auf eine leuchtend rote Form und schaut danach auf eine weiße Fläche, sieht man das Nachbild dieser Form in der Ergänzungsfarbe, in Grün also.Sind nicht auch in der Begegnung mit einer einzelnen Person des dreieinigen Gottes die beiden anderen immer gleicherweise anwesend?
Mischt man zwei Komplementärfarben miteinander, ist das Ergebnis dem der Mischung aus allen drei Grundfarben gleich; es entstehen, je nach Art der Mischung, die Nichtfarben Weiß oder Schwarz, und damit die unsichtbare Gesamtheit der drei Farben. Deshalb spricht man bei den Komplementärfarben auch von Auslöschfarben. Auf Gott übertragen dürfte man im Unsichtbaren, am hellen lichterfüllten Tag wie in der schwärzesten Nacht, glaubend seiner vollen Anwesenheit vertrauen. Eine weitere Eigenschaft der Komplementärfarben ist es, dass sie sich gegenseitig verstärken in ihrer Wirkung.
Um noch einen Schritt weiter zu gehen und bildlich zu werden, verbinde ich subjektiv die drei Grundfarben mit den drei göttlichen Personen.Gelb steht für mich als hellste Farbe und als Äquivalent zum Goldgrund der Ikonen für Gott, den Vater. Rot, die Farbe für Liebe, Blut und Feuer, verbinde ich mit Jesus, dem Sohn.Blau, nach Kandinsky u.a. als Entsprechung für Himmel, Wasser, Sehnsucht und Treue, symbolisiert für mich den Heiligen Geist. 
Was mich an diesem irgendwann gefundenen Beispiel des Lichts immer noch fasziniert, ist die Feststellung, dass es in unserer irdischen und kosmischen Natur tatsächlich etwas Einzelnes gibt, das ohne innere Dreiheit nicht denkbar wäre; dass es also gar nicht so unmöglich ist, an eine Drei im Einen zu glauben. Wir haben keine "drei Götter", wie uns zuweilen vorgeworfen wird, sondern den Einen, der wie das Licht alles erfüllt, der sich uns in der einen oder anderen "Farbe" offenbart und uns da, wo er wie das Licht in seiner Ganzheit auf uns trifft, uns in unzähligen Farbnuancen antworten lässt."
 
Gott ist Person, er ist frei und fähig zu lieben, aber im Gegensatz zu uns braucht er kein Gegenüber, denn er ist in sich Gemeinschaft, in ihm gibt es den Einen und den Anderen und den Dritten. Das sprengt unser Denken, wir haben dafür keine Analogien. Dreifaltigkeit zu denken ist schwierig, aber es gibt etwas, das zu verstehen ich noch viel schwieriger finde als das Mysterium der Dreifaltigkeit. „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat“ (Joh 3,16). Warum liebt uns Gott? Er ist in sich vollkommene Liebe und braucht uns in keiner Weise. Seine Liebe zu uns ist das völlig unerklärbare Wunder.
 
Gestern haben wir uns den Film „Die Frau mit den 5 Elefanten“ angesehen. Swetlana Geier, 1944 aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, hat die fünf größten Romane Dostojewskijs (die 5 Elefanten) neu ins Deutsche übersetzt. Als der Film gedreht wurde, war sie 85, eine beeindruckende alte Dame mit einer großen Liebe zur Sprache. Der Regisseur Vadim Jendreyko begleitete sie über einige Monate, dabei erfahren wir viel von ihrer Lebensgeschichte. Der Film hat inzwischen eine neue Aktualität gewonnen, weil er auch einiges aus der ukrainischen Geschichte lebendig werden läßt. Ich fand diesen Film sehr beeindruckend!
 
Wenn der Auferstandene den Jüngern sagt: „Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten“ (Joh 20,22f), dann ist das kein Freibrief, der es der Kirche erlaubt, willkürlich über das Leben von Menschen zu verfügen, sondern die Aufforderung zur geistlichen Unterscheidung. Es gibt das Gebot, aber in der Praxis muss jeder Fall einzeln angeschaut werden, denn jeder ist anders. Das erlebe ich auch in meiner Aufgabe als Äbtissin: Es gibt Regeln, es muss aber auch Ausnahmen geben - und es muss jemanden geben, der entscheidet, ob eine Ausnahme gerechtfertigt ist. Es macht, ehrlich gesagt, oft wenig Freude, diesen Dienst zu leisten, weil immer eine Unsicherheit bleibt, ob man wirklich alle Gesichtspunkte gesehen hat.
Es ist falsch, alles gesetzlich regeln zu wollen, es ist aber auch falsch, alles für erlaubt zu erklären. Die Kirche hat die Aufgabe, das Evangelium rein und unverfälscht zu verkünden, auch dann wenn es nicht mehr in unsere Welt zu passen scheint (Unauflöslichkeit der Ehe, Gewaltverzicht, keine Schätze sammeln), und dort, wo der Einzelne vor diesem Gebot versagt, mit ihm zu schauen, warum das so ist und ob es im konkreten Fall wirklich Sünde ist. Sie darf barmherzig sein („Sünden nachlassen“), aber sie darf meines Erachtens kein Jota vom Evangelium abweichen, ohne sich selbst schuldig zu machen.
 
Der Heilige Geist ist meine große Hoffnung. Von ihm erhoffe und erwarte ich, dass er unsere Kirche erneuert. Dabei wird sicher nicht alles beim Alten bleiben, im Gegenteil, die Kirche der Zukunft wird überraschend anders sein als die Kirche der Gegenwart. Aber sein Wirken wird auch nicht unseren Zukunftsprogrammen entsprechen - der Geist ist freier und phantasievoller als wir.
Auch in Bezug auf die Vergangenheit vertraue ich auf den Geist Gottes.  Genauso wie ich glaube, dass er die Kirche in eine gute Zukunft führen wird, bin ich überzeugt, dass er der Kirche in den vergangenen 2000 Jahren beigestanden ist und sie im Glauben gehalten hat. Deshalb glaube ich, was die Kirche mir zu glauben vorlegt, auch wenn ich nicht alles verstehe. Ich erwarte gar nicht alles zu verstehen, was von Gott kommt.