Blog von Schwester Christiana
Ich habe am 3.2. schon einmal über das Buch von Alexej Nawalny, Patriot. Meine Geschichte, geschrieben und dort die letzten, sehr berührenden Seiten zitiert. Das Buch ganz zu lesen, scheute ich mich, weil ich eine deprimierende Lektüre fürchtete. Inzwischen habe ich das Buch gelesen und fand es überhaupt nicht deprimierend, sondern im Gegenteil, um es mit einem altertümlichen Wort zu sagen, aufbauend. Man begegnet in diesem Buch einem in allen Schwierigkeiten freudigen und tapferen Menschen, der nie die Hoffnung auf ein besseres Leben für sein Land verliert, und schöpft beim Lesen - ich jedenfalls - selbst Hoffnung und Mut.
In der Hirtenrede Jesu kommt fünfmal der Gedanke vor, dass alles davon abhängt, die Stimme des Hirten, d.h. die Stimme Christi, aus dem Gewirr der vielen Stimmen, die uns auf ihre Seite ziehen wollen, herauszuhören. Noch am einfachsten ist der Umgang mit den Stimmen der „Welt“, die uns vor allem in den Medien begegnen und uns dazu bringen wollen, etwas zu kaufen oder uns irgendeiner Begeisterung oder Empörung anzuschließen. Schwieriger ist es mit den Stimmen innerhalb der Kirche, auch hier gibt es Stimmen, die nicht die Stimme des Hirten sind, sondern das Ihrige suchen. Ob einer wirklicher Hirte ist, zeigt sich daran, ob er durch Jesus zu den Schafen kommt und selbst bei Jesu bleibt. Originalität ist im Glauben kein Wert! Am allerschwierigsten ist es mit den inneren Stimmen; nicht jeder Gedanke, der mir plausibel erscheint, ist vom Heiligen Geist. Es kommt auch hier darauf an, nicht auf sich selbst zu hören, sondern auf die Stimme Christi, das Wort Gottes. Die Stimmen in unserem Inneren sind immer auch die Stimmen von Egoismus, Selbstzentriertheit und Habsucht, denen gegenüber wir nur im Wort Gottes die fremde Stimme finden, die uns korrigiert. Wichtig scheint mir die Bemerkung von Papst Benedikt, dass der christliche Glaube niemals das „Produkt unserer inneren Erfahrungen ist , sondern immer ein Ereignis, das von außen her auf uns zutritt.“
Der Begriff „Charisma“ wird verschieden verwendet. Zunächst sind damit die Gaben gemeint, die jeder Mensch von Gott bekommen hat, nicht für sich selbst, sondern für die anderen. Das können sehr stille Gaben sein: die Gabe zuzuhören, die Gabe ohne großes Aufhebens Dinge aufzuräumen, die Gabe, etwas geduldig zu ertragen. Oder auch auffälligere Gaben wie die Gabe zu leiten oder zu lehren.
Wenn man aber von jemandem sagt, er sei ein Charismatiker oder fordert, der neue Papst müsse ein Charismatiker sein, dann ist in der Regel die Fähigkeit gemeint, andere mitzureißen, also nicht nur zu lehren, sondern aufhorchen zu lassen, vielleicht sogar Showmaster-Qualitäten zu haben.
Aber muss Papst Leo XIV in diesem Sinn ein Charismatiker sein? Ich bezweifle das, denn das Papsttum ist ein Amt, kein Charisma. Von einem Amtsträger verlangt man vor allem, „dass er sich als treu erweist“ (1Kor 4,2), d.h. sich um keine menschlichen „Gerichte“ kümmert, sondern allein das Wort Gottes und die Lehre der Kirche als Maßstab nimmt. Wenn er das tut, wird er ein guter Papst sein.
„Jemand der nichts anderes als nur Gott allein sucht, erhält, was er sucht. Erstens: er erhält nichts anderes. Zweitens: er erhält Gott“ (M. Casey).
„Ich wäre gerne Papst.“ Ein solcher Satz zeigt deutlich, dass der, der ihn ausspricht, nicht weiß, was das Papstamt bedeutet. Ein Papst ist kein autonomer Herrscher, der endlich an die Macht gekommen jetzt seine Vorstellungen verwirklichen kann. Der Papst darf nur lehren und bestimmen, was der Weisung des Herrn entspricht. Er ist so absolut verpflichtet auf das Evangelium und die Überlieferung der Kirche, dass seine Privatmeinungen keine Rolle mehr spielen, was nicht heißt, dass er dem Amt nicht auch seinen persönlichen Stempel aufdrücken kann. Sein ganzes Leben wird zur Stellvertretung. In dieser Weise in Dienst genommen zu werden, ist etwas Großes und Grund zu Freude und Dankbarkeit, aber wünschen kann man es sich nicht, sondern nur, wenn es einen trifft, mit Furcht und Zittern Ja sagen. Mir jedenfalls tut der Mann leid, der in wenigen Tagen Papst wird, und ich bete, dass er die Kraft hat, dieses Ja zu sagen und vor allem es auch zu leben.
Der heilige Athanasius, dessen Gedenktag die Kirche heute begeht, hat gegen Arius die Gottheit Jesu Christi verteidigt. In der heutigen Messe würdigte der Priester seinen Beitrag zur Christologie, „auch wenn die meisten meiner Gemeindemitglieder eher der Lehre des Arius anhängen...“
Dieser Satz geht mir heute den ganzen Tag über nach, aber auf eine etwas verdrehte Art und Weise erscheint er mir als ein Grund zur Freude. Denn ist es nicht immer so, dass wir, die Glieder der Kirche selten den vollen Glauben der Kirche haben; selbst wenn wir unser Christsein ernst nehmen, sind wir bestenfalls auf dem Weg zu ihm. Den vollen Glauben haben von Geist erfüllte Heilige wie Athanasius, letztlich aber nur die Kirche als Ganze. Doch auch wenn mein eigener Glaube - vielleicht ohne dass ich es weiß - mangelhaft ist, als Glied der Kirche habe ich Anteil am ganzen Glauben und das ist für mich ein Grund zur Freude und Dankbarkeit.