Blog von Schwester Christiana
Mich beunruhigt, dass ich die Freude am Lesen verliere. Immer häufiger lese ich Bücher nicht zu Ende, das habe ich früher selten getan. Aber ich will meine Zeit nicht mit Gerede vertun. Leider kommen mir auch die meisten theologischen Bücher wie Gerede vor. leere Worte, inhaltslos, weil nicht aus einer wirklichen Gottesliebe heraus geschrieben.
Im Psalm beten wir: „Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn.“
Wenn ich den Bericht von Caritas International über schrecklich misshandelte und missbrauchte Kinder im Südsudan lese, überhaupt wenn ich höre, was wir Menschen einander überall auf der Welt antun, möchte ich schreien und rufen: „Komm endlich, Herr, und strafe uns in deinem Zorn. So kann und darf es nicht weitergehen, warum lässt du das alles zu?“
„Herrlichkeit der Theologie, dieses verzehrenden Feuers zwischen dem Nacht-Abgrund der Anbetung und dem Nacht-Abgrund des Gehorsams“ (H.U.v. Baltasar).
Warum nur lernt man so wenig aus seinen Erfahrungen? Immer wieder habe ich erlebt, dass Dinge, die ich für mich oder andere als etwas, was auf keinen Fall geschehen darf, als ein Unglück, das zutiefst traurig macht, eingeschätzt habe, sich im Nachhinein nicht nur als weniger schlimm, sondern oft sogar als Durchbruch zu etwas Gutem herausgestellt hat. Und doch fällt es mir immer noch schwer, einfach zu vertrauen, immer wieder denke ich zunächst: Oh nein, das darf nicht sein.
Von dem jüdischen Religionsphilosophen Abraham Joshua Heschel gibt es zwei Bücher, die beide sehr lohnend sind: „Gott sucht den Menschen“ und „Der Mensch fragt nach Gott“, wobei „Gott sucht den Menschen“ sehr viel umfangreicher ist. Im Evangelium gibt es die Weisung Jesu: „Klopft an und es wird euch geöffnet“ und die andere: „Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten, der von einer Hochzeit zurückkehrt, damit sie ihm sogleich öffnen, wenn er kommt und anklopft!“ Auch hier ist wichtiger als dass wir bei Gott anklopfen - das tun wir als bedürftige Wesen ständig, sei es auch nur in Seufzen - dass Gott bei uns anklopft. Er tut das unaufhörlich, aber wie selten öffnen wir die Tür. Entweder wir hören sein Klopfen gar nicht oder wir verschieben das Öffnen auf einen günstigeren Zeitpunkt, „wenn wir Ruhe haben...“ Wirklicher Glaube wäre, die Seele nicht nur hin und wieder für Gottes Wort zu öffnen, sondern sie offenstehen zu lassen, sie nicht mehr zu schließen. Bezeugt ist das von Maria, wir anderen können nur versuchen, uns gegen Tür, die sich immer wieder schließen will, zu stemmen.
Ich sitze im Zug zwischen Stuttgart und Frankfurt auf der Rückfahrt von einer Äbtetagung. Natürlich hat der Zug Verspätung und ist überfüllt, natürlich wird rings um mich geschimpft und von schwierigen Bahnfahrten erzählt. Die Diagnose ist in der Regel nicht originell: Man muss endlich genügend Geld in die Hand nehmen und die Bahn modernisieren. Grundsätzlich richtig, nur gilt das auch für die Straßen, die Schulen, die Krankenhäuser, die Bundeswehr.... die Liste ist endlos. Ich frage mich, ob gesamtgesellschaftlich (und auch kirchlich) nicht dasselbe gilt wie für unsere Klöster, wir leben in viel zu großen Häusern. Auf Dauer werden wir nicht mehr alles instand halten können, sondern müssen vieles aufgeben, z.B. unsere jahrzehntelang unproblematische Mobilität, unseren Anspruch alles, was medizinisch machbar ist, auch zu bekommen und unsere Vorstellung, dass der Staat für uns zu sorgen hat.