Blog von Schwester Christiana
Augustinus erklärt, dass der Begriff „unschuldig“ (innocens), von „nicht schaden“ (non nocere) kommt. Unschuldig ist jemand, der weder sich selbst noch einem anderen schadet, denn alles Böse schadet nicht nur den Opfern, sondern auch den Tätern. In der lateinischen Bibel lautet Ps 10 (11),5: „Wer Ungerechtigkeit liebt, hasst seine eigene Seele.“ Sünde ist in ihrem Wesen Selbsthass, natürlich schadet man anderen Menschen, weil man egoistisch etwas vermeintlich Gutes für sich selbst will. Aber fast noch mehr als anderen schadet der Sünder sich selbst, indem er sich zu einem Menschen macht, der aus der Liebe Gottes, ja aus der Schöpfungsordnung herausfällt, er wird zu einem Un-Menschen oder sogar zu einem Un-Ding, was furchtbar ist.
In seinem Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“ warnt Papst Franziskus vor dem, was er „spirituelle Weltlichkeit“ nennt. Sie besteht darin, sich zwar nach außen hin für die Kirche einzusetzen, im letzten aber den eigenen Vorteil und das eigene Ansehen zu suchen und nicht die Sache Jesu Christi (vgl. Phil 2,21). Wer könnte sich davon ganz freisprechen? Um diese spirituelle Weltlichkeit zu vermeiden, muss ich immer neu die Geister unterscheiden: Ist das, was ich tue, denke, verkünde wirklich vom Geist Gottes eingegeben und damit das der Welt gegenüber Fremde, oder verbräme ich, was die Welt denkt und für richtig hält, mit einigen theologischen Floskeln und behaupte, genau das sei auch die Meinung Christi und seiner Kirche? Es gibt kein Gespräch, keine Gruppe, keinen Aufsatz, wo ich mir diese Frage nicht stelle, denn ich bin auch Welt und d.h. dass das Denken der Welt mir spontan leichter fällt und leichter auf die Zunge kommt, als das Wort Gottes.
Mir scheint, der Siegeszug des Computers in allen Bereichen, aktuell gerade im Gesundheitswesen, führt zu immer weniger menschlichen Begegnungen, immer weniger Service, immer mehr Abhängigkeit von einer Maschine. Die Verlockung lautet, alles gehe einfacher und schneller, aber in der Realität wird es nur anonymer und manche Menschen werden abgehängt und resignieren. Zum Glück erlebe ich aber auch immer wieder Menschen, die sich Freiräume schaffen und den Medien Widerstand leisten, um Zeit für andere zu haben oder auch um ein Buch zu lesen.
Melania Trump: „Das Grundrecht einer Frau auf individuelle Freiheit und auf ihr eigenes Leben gibt ihr die Berechtigung, ihre Schwangerschaft abzubrechen, wenn sie dies wünscht.“
Abtreibung ist ein sehr schwieriges Thema und in der ethischen Beurteilung muss vieles berücksichtigt werden. Doch in den meisten Verlautbarungen klingt es, als wäre eine ungewollte Schwangerschaft ein Schicksalsschlag, der jeden aus heiterem Himmel treffen kann. Ich bin Nonne, aber trotzdem weiß ich, dass nicht der Klapperstorch die Kinder bringt und dass man ohne Geschlechtsverkehr nicht schwanger wird... Wenn man von einer Vergewaltigung einmal absieht, ist einer ungewollten Schwangerschaft ein nicht voll verantwortlicher Geschlechtsverkehr vorausgegangen, vor dessen Folgen man sich jetzt drücken will. Darüber zu sprechen ist heute schwierig, bis dahin, dass ich mich fragen muss, ob es nicht schon nahe an geistlichem Missbrauch ist, wenn ich einer schwangeren Frau und ihrem Partner sage, dass Abtreibung eine Sünde ist. Die Öffentlichkeit würde es so sehen, aber als Christen müssen wir einander helfen, anders zu denken und anders zu handeln.
In den nächsten Wochen bin ich viel auf Tagungen innerhalb unseres Ordens. Einerseits freue ich mich, die anderen Äbte und Äbtissinnen wiederzusehen, andererseits seufze ich innerlich etwas. Nicht wegen der Menschen, die ich treffen werde, sondern wegen der Themen. Ich bin jetzt fast 20 Jahre Äbtissin und habe zunehmend den Eindruck, alle Themen schon mehrfach besprochen zu haben. Vielleicht ist das eine Alterserscheinung - sicher ist es das! - aber mir kommt es so vor, als versuche man in unserer Kirche und auch in unserem Orden ständig die Zukunft in der Griff zu bekommen, völlig vergeblich, denn die Zukunft macht, was sie will.
Man verstehe mich richtig: Ich bin nicht gegen Vorsorge, nicht gegen verantwortliche Planung, aber ich selbst sehe im Rückblick und beim Sichten meiner Unterlagen, wie viel Zeit damit in der Vergangenheit verbracht wurde, und bin es oft müde, mich in solche Überlegungen weiter engagiert einzubringen. Manchmal frage ich mich auch, ob wir Christen (wir Ordensleute / wir Benediktiner) ernsthaft damit rechnen, dass der Herr plötzlich wiederkommt. Dann wird er uns sicher nicht nach unseren Fünf- oder Zehnjahresplänen fragen, sondern danach, wie wir gestern und heute ihn und einander geliebt haben.
Der junge Iraner, mit dem ich im Moment viel spreche, ist sehr pessimistisch in Bezug auf die weitere Entwicklung seiner Heimat. Er glaubt nicht, dass die Menschen gegen das Regime aufstehen werden, schon gar nicht glaubt er an die Möglichkeit einer friedlichen Revolution, wie es sie 1989 in unserem Land gab.
Wir Deutsche sollten am heutigen Tag dankbar sein, dass es damals in unserem Land nicht zu Blutvergießen gekommen ist. Nicht alles lief in den folgenden Jahren optimal, aber insgesamt war die Wiedervereinigung dennoch ein Wunder. Warum sind wir Deutsche nur immer so unzufrieden? Manchmal habe ich den Eindruck, wir meinten, uns stehe eigentlich das Paradies zu...