Blog von Schwester Christiana
Tagungen ermüden mich sehr, aber ich habe gelernt, mich in den Pausen zu absentieren und auf unnötige Gespräche zu verzichten. Dann kann ich bei der Tagung selbst freundlich sein und mich einbringen, rede ich die Mittagspausen und Abende durch, bin ich hinterher nur noch leer und aggressiv. Gleichzeitig erlebe ich, dass Veranstaltungen in ganz anderer Weise sinnvoll sein können, als ich vorher ahnte, so wenn es jemanden gibt, der mich braucht, dem nur ich ein entscheidendes Wort sagen kann, oder auch umgekehrt, wenn mir etwas gesagt wird, was nur dieser Mensch mir sagen konnte. Gott kann einem überall begegnen, man darf ihm keine Bedingungen stellen.
Immer wieder begegne ich Menschen, oft auch Priestern, die Forderungen an die Kirche (Frauenpriestertum, Wiederverheiratung) stellen und diese im Brustton der Überzeugung mit historischen Argumenten begründen. Wenn ich die geschichtlichen Tatsachen richtig stelle, sieht mein Gesprächspartner oft sogar ein, dass ich recht habe, trotzdem weiß ich, dass er das falsche Argument bei nächster Gelegenheit wieder verwenden wird. Das empört mich. Man kann Neues in der Kirche einführen wollen, dafür kann es gute Gründe geben, aber zu behaupten, dieses Neue sei das Ursprüngliche, das nur vom Lehramt unterdrückt wurde, produziert religiöse Fake News. Oder traditionell gesagt: Lügen.
Wir beten im Vaterunser „Dein Wille geschehe“ und werden zugleich von Jesus gefragt: „Was willst du, das ich dir tun soll?“ (Mk10,51). Nur wenn ich wirklich weiß, was ich will, kann ich gehorchen, d.h. meinen Willen dem Willen Gottes unterordnen. Ganz gehorsam war nur Jesus, denn nur er war wirklich frei.
Doch viele Menschen - es ist hart, das zu sagen - wollen keine Freiheit, denn Freiheit bedeutet zu wählen und d.h. Verantwortung zu übernehmen. Freiheit ist verpflichtender als Unfreiheit, ja bindet in gewisser Weise mehr. Wer diese Bindung ablehnt, versteht unter Freiheit die Möglichkeit, in der jeweiligen Situation das zu tun, was gut, angenehm und erfüllend erscheint. Das aber ist Beliebigkeit, nicht Freiheit.
Auch für Getaufte gibt es nach wie vor den Angriff der „Mächte“. Als Christen sind wir ihnen aber nicht mehr schutzlos ausgeliefert, denn in Christus haben wir „Zugang zum Vater“; genau diesen Zugang wollen die Mächte blockieren. Taufe ist Herrschaftswechsel, Befreiung aus der Sklaverei des Bösen und Rückgabe der Entscheidungsfreiheit, die es unter der Sünde nicht gibt. Als getaufte Christen sind wir frei, wir können und müssen uns entscheiden. Die Erlösung gibt uns die Möglichkeit, das Gute zu tun, doch sie zwingt uns nicht dazu.
Wiedergelesen: Heinrich Schlier, Mächte und Gewalten im Neuen Testament. Daraus zwei Zitate:
„Sünde ist... nach dem Neuen Testament Vollzug des Lebens nach Maßgabe jenes Geistes, der das Welthafte und das Welt-Sein als Ewiges erscheinen lässt“ (Eph 2,2f).
Der Teufel weiß, dass er nur noch wenig Zeit hat (vgl. Off 12,10), bzw. dass er nur noch die Zeit und nicht mehr die Ewigkeit hat. Das erfüllt ihn mit Angst und Wut. „Die Zeit, ausgelegt... durch den Geist der Angst, fängt nun - seit Christus - an zu eilen, erst langsam, dann in einem großen Schub auf einmal immer schneller. Auf einmal werden große Anstrengungen spürbar, Zeit zu gewinnen, in der Zeit und mit der Zeit mitzukommen, die Zeit einzuholen, die immer schneller entrinnt. Zeitangst erfüllt mehr und mehr die Atmosphäre der Geschichte. Zu ihr gehört auch und gerade das inmitten allen Zeitbewußtseins und ihm entgegen aufgetretene Übersehen der eigenen Zeitlichkeit und der Traum einer eigenen Ewigkeit“.
In meinem Glauben gibt es Zeiten des Verstehens, in denen sich die Dinge aneinander fügen und Zeiten der Verborgenheit, in denen ich mit dem Psalmisten sagen muss: „Das ist mein Schmerz, dass die Rechte des Höchsten so anders handelt“ (Ps 77,11). Anders als ich denke, dass es gut wäre, anders als ich verstehe, wohin Gott uns führen will, anders als ich Gott früher kennen gelernt habe.
Immer wieder muss ich neu begreifen: „Durch das Meer ging dein Weg, dein Pfad durch gewaltige Wasser; doch deine Spuren erkannte man nicht“ (Ps 77,20). Ich erkenne Spuren, die auf dich hinweisen, ich kenne ihn, der der Weg ist, aber immer wieder führt dieser Weg durch das Meer und alles verschwimmt und es bleibt nur der Glaube. Doch was heißt hier „nur“?