Blog von Schwester Christiana
In den Abschiedsreden sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen“ (Joh 16,12). Dieser Satz hat mich gestern den ganzen Tag über begleitet. Das Evangelium, die frohe Botschaft, die Wahrheit, die Jesus selbst ist, ist nicht nur etwas Aufbauendes. Leichtes, Beschwingtes, sondern auch etwas, was getragen sein will. Die Jünger können es erst „tragen“, nachdem sie Zeugen von Tod und Auferstehung geworden sind und den Geist empfangen haben. Warum wundern wir uns da, dass so viele Menschen, die Botschaft (noch) nicht tragen können? In einem Seminar sagte vor einigen Tagen ein ständiger Diakon, er mache oft die Erfahrung, dass dieselbe Lesung die Zuhörer in zwei Gruppen spaltet: Die einen hören nur die Last, die sie nicht tragen können oder wollen, d.h. den moralischen Appell, während die anderen das an sie persönlich gerichtete Wort des Auferstandenen hören und sich darüber freuen.
Der Gott, an den wir Christen glauben, ist ein dreifaltiger Gott. Das bedeutet, dass er in sich alles ist: Einheit und Vielheit, nichts bedürfende Vollkommenheit und liebende Gemeinschaft. Es bedeutet auch, dass Gott uns Menschen nicht braucht, wir sind nicht geschaffen, damit Gott ein Gegenüber hat, das er lieben kann, ihm würde nichts fehlen, wenn es uns - wenn es mich - nicht gäbe. Gott ist in sich Liebe, er ist in sich vollkommene Gemeinschaft. Und dennoch wollte er, dass wir sind, aus völlig freier Liebe wollte er Mitliebende haben, weil Liebe immer will, dass ihre Freude überströmt.
Eine ältere Mitschwester warf mir neulich vor, dass ich nicht ernsthaft davon ausgehe, dass noch junge Schwestern kommen. Zum Teil stimmt das.
Ich selbst bin auch nach vielen Jahren ganz und gar erfüllt von der monastischen Lebensweise und habe nie bereut, in Mariendonk eingetreten zu sein. Auch an den heutigen jungen Menschen habe ich meine Freude, sie werden ihren Weg gehen, auch wenn er mir vielleicht in manchem fremd ist. Aber die Kirche setzt zur Zeit auf Meditation, Anbetung, Lobpreis, auf Freiheit, Selbstbestimmung und ganz individuelle Formen von Spiritualität. Dazu ist unsere Lebensform das absolute Kontrastprogramm: Stundengebet, Eucharistiefeier, Schriftlesung, Leben in Gemeinschaft, zu dem Keuschheit, Armut und Gehorsam gehören. Das alles ist schwer vermittelbar, vielleicht noch als Wert, aber kaum mehr als tägliche Freude. Trotzdem wird das monastische Leben nicht verschwinden, aber es wird sehr viel weniger sichtbar sein.
Jesus hat verheißen, dass der Geist die Kirche in die ganze Wahrheit führen und sie alles lehren werde. Ein Blick in die Kirchengeschichte, gerade in diesem Jahr, in dem wir den 1700. Jahrestag des Konzils von Nizäa feiern, zeigt die Erfüllung dieser Verheißung. Sicher gibt es viel Sünde und viele Irrwege in der Geschichte der Kirche, aber zugleich auch ein immer tieferes Verstehen der Person Jesu Christi und des dreifaltigen Gottes, das nicht auf menschliche Überlegungen zurückgeführt werden kann, so wenig entspricht es dem, was wir Menschen für plausibel halten.
Aber die Verheißung gilt auch dem Einzelnen, auch jedem Christen ist ein immer tieferes Verständnis des Glaubens verheißen, wenn er sich auf diese Ausweitung einlässt. Das erkennt man nur im Nachhinein, sozusagen im Rückblick auf die Geschichte der eigenen Einsichten. Dann aber kann man manchmal voll Staunen und Dankbarkeit feststellen, dass der Geist Gottes einem tatsächlich die Glaubenswahrheiten in ihrer Schönheit immer mehr offenbart.
Gelesen: Oliver Hilmes, Ein Ende und ein Anfang. Wie der Sommer 45 die Welt veränderte.
Das Buch schaut unter ganz verschiedenen Perspektiven auf eine Umbruchszeit: Eine Frau, die auf Nachricht von ihren Söhnen wartet, ein Mann in Kriegsgefangenschaft, Nazigrößen ohne Schuldgefühl, Politiker wie Truman und Churchill, Klaus Mann als Reporter im zerstörten Deutschland, Alma Mahler-Werfel, die sich nach Europa zurücksehnt usw... Ausgezeichnet recherchiert aus Tagebüchern und Archivmaterialien und sehr spannend geschrieben. Aber auch hier frage ich mich bezogen auf meinen vorigen Blog: Wie kann man weiterleben, wenn man den Befehl zum Abwurf der Atombomber auf Hiroshima und Nagasaki erteilt hat?
Manchmal bin ich in der Versuchung, schlechte Nachrichten auszublenden, nichts mehr hören zu wollen. Aber darf ich das, vor allem wenn es meinen Geschwistern im Glauben geschieht?
Ein Massaker in Nigeria: Ein achtjähriger Junge muss zusehen, wie seine gesamte Familie brutal ermordet wird, ihm soll mit einer Machete der Kopf abgeschlagen werden, aber der Schlag ist nicht kräftig genug, er überlebt, wenn auch mit wahnsinnigen Schmerzen. Herr, wie kannst du das zulassen? Ich weiß, die Frage ist nicht originell, aber wir dürfen und müssen sie stellen. Ich nehme sie mit ins Gebet und sie weitet sich aus: Herr, wie kannst du zulassen, dass Menschen so grausam sind, so Furchtbares tun? Haben Terroristen, die ganze Dörfer massakrieren, ein schlechter Gewissen? Oder können sie ruhig und zufrieden schlafen? Ich wünsche und bete, dass ersteres der Fall ist, ja ich bete, dass ihr Gewissen ihnen keine Ruhe lässt. Entsetzlich ist es, wenn Menschen das Böse, das sie tun, nicht mehr als böse empfinden. Herr, wie kannst du zulassen, dass Menschen, die du nach deinem Bild geschaffen hast, dieses Bild so sehr pervertieren?