Blog von Schwester Christiana
Jesus bei Maria und Martha (Lk 10,38-42). Sehr oft werden die beiden Frauen als verschiedene Charaktere oder verschiedene innerkirchliche Berufungen interpretiert. Doch beide sind auch in mir selbst und leider ist die Martha in mir oft sehr dominant und hält Maria davon ab, zu Füßen Jesu zu sitzen und ihm zuzuhören. Anders als in der Erzählung im Evangelium hat meine innere Maria nämlich oft das Gefühl, erst dann mit guten Gewissen an die Schriftlesung oder ins Gebet gehen zu können, wenn alles andere getan ist. Warum eigentlich? Ich weiß doch, dass Jesus das anders sieht...
„Wahrlich, Unglaubliches hat Gott dem Menschen verheißen. Aus sterblichen Menschen, aus Staub und Asche sollten Menschen werden, die den Engeln Gottes gleichen. Was tat Gott? Er gab den Menschen nicht nur die Schrift, damit sie glauben, sondern er setzte einen Mittler ein, nicht irgendeinen Fürsten oder irgendeinen Engel, sondern seinen einzigen Sohn! Er sollte uns zu dem Ziel führen, das er verheißen hatte. Sein Sohn sollte uns diesen Weg zeigen. Doch es war Gott zu wenig, dass sein Sohn uns nur den Weg zeigte, er machte ihn selbst zum Weg, damit du auf ihm gehen kannst, wobei er dich führt und ihn selbst geht“ (Augustinus, Zu Psalm 109).
Immer häufiger berufen sich autoritäre Politiker auf das Christentum und inszenieren sich als gläubige Christen. Spontan finde ich das beängstigend, ja ich fühle mich geradezu persönlich in meinem Glauben angegriffen. Doch sobald ich mich dann zu ihm, in dem dieser Glauben sein Fundament hat, zu Jesus Christus hinwende, werden solche Gefühle belanglos. Christ ist nicht, wer sich so nennt, oder wer das Christentum als ideologische Keule benutzt, um Gegner klein zu machen, sondern Christ ist, wer ihm nachfolgt, der gesagt hat: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3) und: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,42-45).
„In den Geist der Schrift eindringen heißt, Gottes Inneres kennenlernen und sich die Meinungen Gottes über die Welt aneignen“ (Hans Urs von Balthasar).
Im Buch Exodus wird berichtet, wie der Schwiegervater des Mose zu ihm kam und als er sah, dass Mose versuchte, alle Leitungsaufgaben selbst zu übernehmen,, ihm den Rat gab, sich zu entlasten und andere Mitverantwortung tragen zu lassen. Seine Aufgabe sei: „Vertritt du das Volk vor Gott! Bring ihre Angelegenheiten vor ihn“ (Ex 18,19).
Das ist auch die eigentliche Aufgabe jedes Christen, je nachdem an welcher Stelle er steht:
- der Papst muss für die Gesamtkirche beten
- der Bischof für seine Diözese
- der Pfarrer für seine Gemeinde
- eine Äbtissin für ihre Gemeinschaft
- Eltern für ihre Kinder
- jeder Christ für jeden, besonders für die in Not.
Wir sind Hüter unserer Schwestern und Brüder und das bedeutet, dass nichts wichtiger ist, als sie vor Gott zu vertreten und ihre Angelegenheiten vor ihn zu bringen. Am zweitwichtigsten ist, die anderen zu bitten, diesen Dienst für uns zu übernehmen. Papst Franziskus hat das oft getan: „Betet für mich!“  Alle anderen Aufgaben sind auch wichtig, aber erst an dritten, siebter oder dreiundzwanzigster Stelle.
Wir Christen glauben, dass alles, aber auch wirklich alles, Geschenk ist. Das gilt schon innerhalb der göttlichen Dreifaltigkeit, denn Gott ist in sich Gabe, Hingabe, Geschenk. Der Vater ist Vater in der ewigen Hingabe an den Sohn, sein ganzer Reichtum besteht darin, alles an den Sohn wegzugeben: „Dem Sohn ist alles vom Vater übergeben“. Der Sohn wiederum gibt dem Vater alles Empfangene im Gehorsam zurück und der Heilige Geist ist das Geschenk beider in Person.
Wir Menschen sollen in diese Hingabe eintreten, und solange wir das verweigern, bleibt die Welt von Selbstsucht und Hass geprägt. Verheißen ist uns aber, dass im ewigen Leben alles nur noch Hingabe sein wird. C.S.Lewis schreibt, dass jeder dort auf ewig damit beschäftigt sein wird, an alle anderen zu verschenken, was er selbst empfangen hat. In dieser Selbsthingabe rühren wir an den Rhythmus des Seins: „Von der höchsten Stufe bis zur untersten gilt: das Selbst ist dazu da, hingegeben zu werden, und durch diese Hingabe wird es nur desto mehr es selbst, um daraufhin wieder um so mehr sich hinzugeben – und so fort... Was außerhalb dieses „Systems“ der Selbsthingabe liegt, das ist weder die Erde noch die Natur noch das durchschnittliche Leben – sondern einzig und allein die Hölle“. Lewis vergleicht unser Leben mit einem Ballspiel, das gestört ist, weil wir den Ball behalten statt ihn weiterzuwerfen. Leben wie Gott es sich für uns vorgestellt hat, besteht darin, den Ball weiterzuwerfen, so dass er zwischen uns allen hin und her fliegt. Und wenn dann Gott selbst das Spiel anführt, „indem er in der Erschaffung sich selbst seinen Geschöpfen schenkt und wiederum an sich selbst zurückgibt in der Opferung des Logos – dann lässt in der Tat der ewige Tanz 'den Himmel versinken in den Entzückungstraum des Einklangs'. Alle Schmerzen und alle Freuden, die wir auf Erden kannten, sind frühe Einübungen in die Schrittweisen dieses Tanzes“ (aus:  C.S. Lewis, Über den Schmerz).