Blog von Äbtissin Christiana Reemts

Wir feiern „das Wunder von Bethlehem“ in einer Welt, deren Grundgefühl Angst und Sorge ist. Dieses Grundgefühl hat sogar recht, denn unsere Welt ist zerbrechlich, unsicher und von vielen Seiten bedroht. Wir alle fürchten uns, auch wenn wir dieses Gefühl im Alltag vor einander zu verbergen suchen. Aber es gibt auch die andere Seite, die große Freude, die uns verkündet wird: „Heute ist euch der Retter geboren, Christus, der Herr.“
Wir können uns nicht selbst retten, auch wenn die Welt voll ist von wissenschaftlichen Bemühungen, diese Rettung zu bewerkstelligen.
Wir können uns nicht selbst retten, wir alle werden sterben und diese Welt wird irgendwann, ob mit oder ohne unser Zutun, zugrunde gehen. Aber wir können gerettet werden, wir können uns retten lassen. Gott hat uns in den Retter gesandt, seinen Sohn Jesus Christus, der allerdings nicht wie mit einem Zauberstab unsere Welt auf einmal in ein Paradies verwandelt hat, sondern der uns gezeigt hat, wie wir in seiner Nachfolge zum Vater kommen können.
Wenn wir uns in diese Nachfolge stellen und damit das Weihnachtsfest zu etwas machen, was nicht nur vor 2000 Jahren geschah, sondern jetzt geschieht, indem Gott in uns, in unserem Herzen, geboren wird, indem Gott in uns wie in Maria Fleisch annimmt, dann ist  es für uns mehr als ein Familienfest, mehr als gutes Essen und Lichterglanz, dann ist es wirklich Anlass zu großer Freude, die uns niemand nehmen kann.
 
Als Kind glaubte ich an den Weihnachtsmann. Er kam an Heiligabend und brachte mir und meinen Geschwistern Geschenke. Als ich von einem anderen Kind hörte, den Weihnachtsmann gebe es gar nicht, wollte ich das nicht glauben, ich hatte ihn doch gesehen. Aber als ich meine Mutter fragte, gab sie zu, dass der Weihnachtsmann nur ein verkleideter Student war, und ich fühlte mich betrogen. Maria, Josef und das Jesuskind in der Krippe kannte ich auch, aber nicht als Überbringer von Geschenken, sondern nur als schönes Bild. In einem Kinderbuch hörte ich vom Christkind und Nikolaus. Unter dem Christkind stellte ich mir ein Mädchen mit langen blonden Haaren und Flügeln vor, eine Art Engel, den ich nicht mit dem Kind in der Krippe identifizierte, denn da ich drei jüngere Geschwistern hatte, war ich mir sicher, dass Babies von sich aus gar nichts tun, schon gar nicht herumlaufen und Geschenke austeilen. Und der Nikolaus war offenbar nur ein anderer Name für den Weihnachtsmann. Gut, dass es in meiner Kindheit wenigstens noch keine Rentiere gab, die ich unterbringen mußte!
Noch viel weniger als die verschiedenen Gestalten, die mir an Weihnachten begegneten, begriff ich, dass das Kind in der Krippe und der Mann am Kreuz dieselbe Person waren, Weihnachten und Ostern  waren verschiedene Erzählungen, die ich lange nicht verband, niemand half mir als Kind, die Elemente des Glaubens, mit denen ich konfrontiert war, zusammenzubringen.
Vielleicht ist meine Jugend in einem halbsäkularisierten Hamburger Milieu nicht typisch, aber ich fürchte auch heute können viele Menschen in Deutschland nicht viel dazu sagen, was wir an Weihnachten feiern. Dabei ist die Botschaft umwerfend: Der unendliche Gott wird Mensch und schenkt uns Anteil an seinem göttlichen Leben.

Je weiter die Ufer voneinander entfernt
desto größer die Spannung der Brücke.
Was ist weiter von einander entfernt als Gott und Mensch?
Wie groß ist die Spannung der Brücke, die Jesus ist!     (Bardo Weiß)
 
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir! Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, wenn durch Ströme, dann reißen sie dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt, keine Flamme wird dich verbrennen. Denn ich, der Herr, bin dein Gott, ich, der Heilige Israels, bin dein Retter“ (Jes 43,2f).

Ich versuche zu glauben und mich nicht zu fürchten, denn
1.) ich werde mich vermutlich nicht anstecken
2.) selbst wenn ich mich anstecke, muss es keine Symptome geben
3.) selbst wenn es Symptome gibt, müssen die nicht schwer sein,
4.) selbst wenn ich schwer krank werde, kann ich wieder gesund werden
5.) selbst wenn ich sterbe, ist das nicht das Ende, sondern ein neuer Beginn.

Dazu ein Witz, den ich öfter erzähle, weil er für mich mehr ist als ein Witz:
Ein Ehepaar stirbt bei einem Autounfall. Sie kommen beide in den Himmel und gehen dort umher. Während die Frau die himmlische Herrlichkeit genießt, wird der Mann immer mürrischer. Irgendwann merkt sie es und fragt ihn, was er denn hat. Darauf er: „Wenn du mit deinen dämlichen Knoblauchpillen nicht gewesen wärst, hätten wir das alles schon Jahre früher haben können.“
Damit mich niemand falsch versteht: Das Leben ist ein großes Gut und wir sollten es nicht leichtfertig auf's Spiel setzen. Aber wir sollten es auch nicht vergötzen. Das Beste kommt noch!
 

Ende Oktober hieß es noch, dass wir uns im November einschränken sollten, um dann „normal“ Weihnachten zu feiern. Das Virus hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch tut das Virus wirklich etwas? Oder sind wir selbst die Schuldigen, weil wir nicht vorsichtig genug waren? Wer handelt hier? Als Christin bin ich davon überzeugt, dass in allem, was geschieht, Gott auf uns zukommt. Er setzt die natürlichen Ursachen nicht außer Kraft, sondern handelt in und durch sie und zwar nicht als eine weitere Ursache neben anderen, sondern so, dass er in geheimnisvoller Weise alles Geschehen umgreift.
Doch was will Gott uns sagen in diesem Advent? Auf jeden Fall hilft er uns, die Weihnachtsbotschaft besser zu verstehen: Sein Sohn kommt nicht mit Glockenklang und Glühweinduft als zusätzliche Attraktion in eine Welt, die im Prinzip - wenn es nicht dummerweise Corona gäbe - in Ordnung ist, sondern in eine Welt, die in sich krank ist und Hilfe braucht. Er kommt als Retter und Erlöser. Deutlich wird der tiefe Ernst des Weihnachtsfestes, wenn wir von unseren schönen Advents- und Weihnachtsliedern einmal nicht nur die erste Strophe singen.
Advent ist die Zeit der Vorbereitung, des Wartens und des Nachdenkens. Wollen wir Gottes Kommen? Wollen wir, dass er in unser Leben einbricht? Darauf mit Ja zu antworten, ist nicht leicht, denn möglicherweise kommt er auch in der Pandemie.

Eine meiner frühesten Erinnerungen, ich war vielleicht fünf oder sechs: Ein Bettler kommt an unsere Haustür und spricht lange mit meiner Mutter. Am Abend dann ein erregter Wortwechsel meiner Eltern, weil meine Mutter dem Bettler eine wertvolle Uhr geschenkt hat. Argument meiner Mutter: Wir haben jeder eine Uhr, wir brauchen diese Uhr nicht, der Mann war in Not und kann die Uhr versetzen. Argument meines Vaters: Der hat dir eine rührselige Geschichte erzählt und du bist darauf reingefallen, vermutlich ist der Mann ein Betrüger. Antwort meiner Mutter: Lieber lasse ich mich zehnmal betrügen als einmal jemanden, der wirklich in Not ist, ohne Hilfe wegzuschicken. Das akzeptierte mein Vater.
Warum ich das erzähle? Zur Zeit begegne ich oft Menschen, die bei allem und jedem den Verdacht haben, man erzähle ihnen nicht die ganze Wahrheit und in Wirklichkeit steckten hinter den Vorgängen finstere egoistische Machenschaften. Die Bischöfe, die Priester, die Politiker, die Virologen - alle belügen die Öffentlichkeit und kaschieren ihre eigentlichen Motive. Tatsächlich sind wir Menschen - nicht nur die anderen, sondern auch ich selbst - in unserem Handeln meistens zweideutig, weil nie ganz uneigennützig. Trotzdem bin ich bereit, den anderen - Gesundheitsminister Spahn, Prof. Wieler, Kardinal Woelki - zuzugestehen, dass sie versuchen, ihr Bestes zu tun. Ich bin in manchen Punkten der Ansicht, etwas anderes wäre besser, darüber müßte man diskutieren. Aber ich weigere mich, ständig üble Motive anzunehmen und bin bereit mich, deshalb naiv nennen zu lassen.