Blog von Äbtissin Christiana Reemts

„Nur wer sich nicht um die Probleme der Menschen kümmert, sondern um seinen Gott, findet die Lösung der menschlichen Probleme. Nur wer aus dem Ägypten seiner alten Gesellschaft auszieht, um Jahwe in der Wüste ein Fest zu feiern, gelangt dann in das Land, wo Milch und Honig strömen... Die richtige Gesellschaft (wird) den Menschen da geschenkt, wo nicht sie, sondern Gott angezielt wird - im Fest, in der Verkündigung der Botschaft, in der Sorge um die Gemeinde“ (Lohfink, Liturgie und Bibel 24f). Könnte ein Motto für die kommenden Jahre sein.
 
Man sagt, Not lehre beten. Meiner Erfahrung entspricht das nicht. Es mag stimmen angesichts von auf einen gerichteten Maschinengewehren, vor brüllenden Löwen oder im Konzentrationslager (wobei ich auch da keineswegs sicher bin), bei Krankheit und Erschöpfung dagegen fällt es oft schwer zu beten.
Ist es ein Armutszeugnis, wenn ein glaubender Mensch dies feststellen muss oder nicht im Grunde richtig? Gebet ist das Größte, was dem Menschen möglich ist, hier erreicht er seine Würde als Gottes Ebenbild. Wenn ich wirklich bete, liebe ich zugleich Gott aus ganzer Seele, mit ganzen Herzen und mit ganzer Kraft. Wenn die Kraft jedoch schwindet, möchte ich lieber einfachere Dinge tun und sei es Kriminalromane lesen.
Ich denke, man sollte die eigenen Grenzen, auch die Grenzen die dem Glauben gesetzt sind, in Demut wahrnehmen und daraus Konsequenzen ziehen. Das würde bedeuten, Gott die Stunden der größten Freude und Dankbarkeit zu schenken und nicht die Zeit, in der ich nichts Besseres zu tun habe. Und auf keinen Fall auf das Alter warten, "weil man da ja Zeit zum Beten hat." Das Alter ist - das sehe ich immer wieder bei meinen Mitschwestern - eine Zeit der Ernte und des Loslassens. Wer bis dahin nie gebetet hat, wird es auch dann nicht können. Und selbst wer immer gebetet hat, erfährt , dass auch dazu irgendwann die Kraft fehlt und nur noch das Vertrauen bleibt. Was ja nicht wenig ist.
Die Fastenzeit ist eine Zeit der Rückbesinnung auf das, was der Sinn und das Ziel unseres Lebens ist, auf das, was wir eigentlich wollen. Denn wir alle fallen ständig aus der Gemeinschaft mit Gott heraus, indem wir ihm andere Dinge vorziehen. Diese Dinge sind meistens nicht in sich böse, sie werden es aber, wenn wir sie an die Stelle Gottes setzen, d.h. wenn wir sie vergötzen. Daher ist immer wieder Umkehr nötig, nicht indem wir irgendwelche Bußübungen machen, sondern indem wir herausfinden, wo wir abgeirrt sind und uns neu klarmachen, wo wir hin wollen.
Wichtiger noch als der Weg zurück, ist die Hinkehr zu Gott, der Weg auf Ostern zu in der Sehnsucht nach der Begegnung mit dem lebendigen Gott. Aus diesem Grund möchte der heilige Benedikt, dass Freude die Grundstimmung der Fastenzeit ist, dass wir „mit geistlicher Sehnsucht und Freude das heilige Osterfest erwarten“ (RB 49,6f).
Urbild der Fastenzeit ist das Exodusgeschehen. Auch dort nennt Mose als Begründung für den Auszugswunsch der Israeliten die Freude, denn er sagt zum Pharao: „So spricht Jahwe, der Gott Israels: Lass mein Volk ziehen, damit sie mir in der Wüste ein Fest feiern können“ (Ex 5,1).
Ein Fest ist Ausdruck der Freude, wobei Freude nicht dasselbe wie Vergnügen ist. Die Freude, die wir Christen suchen, ist nicht unsere Freude, sondern „seine Freude“, d.h. die Freude Christi (Joh 17,13). Er hat sie uns in Fülle versprochen, die vollkommene Freude, die Anteil ist an der Freude des dreifaltigen Gottes.
Was hindert uns an dieser Freude, die Gott uns schenken will? Vermutlich unser - von Adam ererbtes - Mißtrauen Gott gegenüber; wir haben immer den Verdacht, dass Gott uns etwas nehmen will, dass Umkehr zu ihm mit Verlust verbunden ist, dass wir etwas aufgeben müssen, was wir behalten wollen. Von daher wäre es ein erster Schritt auf Gott zu, ihn zu bitten, uns von uns selbst zu lösen, unsere Hände zu öffnen, damit er uns seine Freude schenken kann.
 
Das Domradio Köln bat mich, meinen Blog vom 8.2.21 noch einmal etwas auszuführen. Wen das interessiert:
https://www.domradio.de/themen/glaube/2021-02-16/zwischen-allen-stuehlen-gastkommentar-von-aebtissin-christiana-reemts-osb
 
In einem Film über C. S. Lewis heißt es: „Wir lesen um zu wissen, dass wir nicht allein sind“, ein Motto, das mir persönlich sehr wichtig ist. Im Moment könnte ich auch formulieren: „Wir schreiben um zu erfahren, dass wir nicht allein sind“, da ich so viele Rückmeldungen auf meinen Eintrag vom 8.2. erhalten habe. Offenbar gibt es viele Menschen in unserer Kirche, die verwirklichen wollen, was man die „Ordnung der Liebe“ nennt, d.h. Gott an erste Stelle zu setzen und alles andere seinem Rang entsprechend an zweite oder dritte Stelle.
Aber natürlich gab es auch Gegenwind. Deshalb hier als Klarstellung: Ich habe nichts gegen die tridentinische Messe, die ein offiziell zugelassener Ritus ist, und auch nichts gegen Mundkommunion! Es ist mir wichtig, die Hostie mit größter Ehrfurcht zu kommunizieren, wofür es meiner Ansicht nach verschiedene Möglichkeiten gibt. Wenn jedoch Menschen in der Coronazeit lieber ganz auf die Kommunion verzichten als sie mit der Hand zu empfangen, dann habe ich dafür kein Verständnis, sondern es gilt in meinen Augen das Wort Jesu: „Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen... Sehr geschickt setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft, um eure eigene Überlieferung aufzurichten“ (Mk 7,8f).