Aktuelles

Tagebuch (52)
Nach Jahrzehnten mit großem Vergnügen Manzoni, „Die Verlobten" wiedergelesen und dort Menschen gefunden, denen ich  auch in der Gegenwart immer wieder begegne. Einige Kostproben aus dem Buch:
„Mit den Gedanken hielt es Donna Praxedia, wie man es mit Freunden halten soll; sie hatte deren wenige, aber den weniger war sie sehr zugetan. Unter den wenigen gab es zum Unglück viele verdrehte und diese waren ihr gerade die liebsten.“
„Ihr ganzes Trachten ging dahin, den Willen des Himmels zu fördern, nur beging sie immer den Fehler, ihr Gehirn mit dem Himmel zu verwechseln.“
 
Tagebuch (51)
Gott ist König. Gott ist Macht und Liebe. Gott hat die Welt erschaffen...
Oder ist er nur ein menschlicher Gedanke, der Trost gibt, dem aber in der Realität nichts entspricht? Die Angst, der Glaube könnte nur eine Illusion sein, bleibt auch nach vielen Jahren im Kloster. Gott ist oft erschreckend stumm, er spricht weder in der Welt noch in meinem Inneren. Aber glauben, dass es Gott nicht gibt, ist noch viel unmöglicher. Denn was bedeutet „gibt“ in Bezug auf Gott? Es gibt ihn nicht, er ist.
Ich höre: „Für mich ist Gott...“; „für mich ist er...“ - Alles Projektionen, menschliche Bilder. Der wahre Gott zerbricht sie.
„Aber mir hilft dieses Bild.“ Dennoch muss es zerbrechen, es ist ein Surrogat, das nicht nährt, ein Placebo, das den Krebs nicht heilen kann. Die Wahrheit ist härter, sie ist harte Liebe.
 
 

Tagebuch (50)
Immer wieder wird in unserer Gesellschaft gefordert, dass Frauen mindestens 30 %, eigentlich aber 50 % aller leitenden Posten einnehmen sollten, und dass man Unternehmen zwingen müsse, dafür zu sorgen. Ich bin keineswegs dagegen, dass mehr Frauen in Leitungsaufgaben kommen, ganz im Gegenteil, was mich stört, ist die implizite Wertung, dass Leitung auf jeden Fall besser ist als Dienst, dass ein DAX-Vorstand mehr ist als eine Krankenschwester. Christlich ist das nicht und gerade die Corona-Krise hat uns gelehrt, wie dringend wir Menschen brauchen, die anderen Dienste leisten, von Lastwagenfahrern über Verkäuferinnen bis zu Krankenpflegern und Ärztinnen.
Natürlich sollten Aufgaben nicht einfach durch die Geschlechtszugehörigkeit bestimmt werden, so dass Frauen unabhängig von ihren Begabungen dienen und Männer ebenfalls unabhängig von ihren Begabungen bestimmen, wo es lang geht. Aber es wird dabei bleiben, dass Frauen und Männer verschieden sind und dass Frauen im Durchschnitt (nicht unbedingt was die Einzelne betrifft!) eine andere Vorstellung von der sogenannten Work-Life-Balance haben und an anderen Tätigkeiten als Männer Freude haben. Das Problem ist nicht diese Verschiedenheit, sondern die falsche Wertigkeit in unserer Gesellschaft, die sich ganz brutal in der Bezahlung ausdrückt. Aber auch uns Christen fällt es auch nach 2000 Jahren noch schwer, das Wort Jesu anzunehmen, der sagte: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“

Tagebuch (49)
Von Matthias Claudius gibt es ein Gedicht, dessen erste Strophe lautet:
„Ich danke Gott, und freue mich
Wie's Kind zur Weihnachtsgabe,
Dass ich bin, bin! Und dass ich dich,
Schön menschlich Antlitz! habe.“
Der Dichter dankt Gott für die Gnade, ein Mensch zu sein, was sich im Gesicht ausdrückt; nur Menschen haben im eigentlichen Sinn ein Gesicht. Das bezeugen auch viele Redewendungen wie z.B.: „das Gesicht verlieren“; „etwas steht ihm / ihr im Gesicht geschrieben“; „sein wahres Gesicht zeigen“; „ein langes Gesicht machen“; „Gesicht zeigen“.
Es gibt in Deutschland das Vermummungsverbot, wer demonstrieren will, soll Gesicht zeigen. Die Begegnung mit Burkaträgerinnen finden wir unheimlich, weil wir deren Gesicht nicht sehen. Das  Gefühl einer gewissen Bedrohung, von dem ich weiß, dass es irrational ist, empfinde ich auch in diesen Tagen oft, wenn ich Menschen mit Mundschutz begegne. Wenn es Bekannte sind, kann ich es einigermaßen ertragen, ihr Gesicht nicht zu sehen, weil ich es kenne, aber bei Unbekannten finde ich das schwierig. Man weiß oft weder das Geschlecht noch das Alter des Gegenübers. Ich merke erst jetzt, wie viel ich am Gesicht eines Menschen ablas.
Natürlich weiß ich, warum wir Mundschutz tragen, aber ich finde es macht Begegnung schwierig. Oder andersherum: Die Mundschutzpflicht in geschlossenen Räumen erleichtert es mir im Moment, zuhause zu bleiben. Und ich bin dankbar, wenn wir wieder Gesicht zeigen dürfen. Erst jetzt weiß ich, wie viel mir das bedeutet.
 
Tagebuch (48)
Gelesen: Richard Fortey, Leben. Eine Biographie: Die ersten vier Milliarden Jahre. Kein theologisches Buch, sondern ein von einem Paläontologen geschriebenes populärwissenschaftliches Sachbuch. Und doch ein theologisches bzw. ein für den Glauben relevantes Buch, denn es zeigt die Größe Gottes und seine unfaßbare Geduld. Das Buch relativiert alles: Leben, Zeit, Tod, den Wert jedes Geschöpfes. Alles kommt und vergeht, jede Art hat ihre Zeit.
Erst jetzt weiß ich wirklich, wie groß der Sprung ist, den es braucht für den Glauben, dass ich persönlich gemeint bin.